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projekt

1971 besuchte der Fotograf Thomas Deutschmann das Obdachlosenlager Vinnhorster Weg in Hannover. In den Baracken lebten zu der Zeit mehr als dreihundert Menschen, unter ihnen viele Kinder. Das Lager war eine Welt für sich. Im Verlauf mehrerer Monate fand Deutschmann Zugang zu den Bewohnern und konnte sie in ihrer alltäglichen Umgebung fotografieren. So entstand eine einzigartige und umfangreiche Bildserie im dokumentarischen Stil mit rund 60 Fotografien. Die Fotogalerie Spectrum stellte einige dieser Bilder in Ihrer zweiten Ausstellung 1972 unter dem Thema Gesichter aus. In ihrer Vollständigkeit aber wurde die Serie nie öffentlich gezeigt.

ans licht: anschließen

Ein halbes Jahrhundert später sprechen diese Bilder den Betrachter auf eine neue, unmittelbare Art an. Sind auch die Obdachlosenlager inzwischen Geschichte - ein weithin vergessenes Kapitel hannoverscher und bundesdeutscher Historie - so stellen die Fotos doch die Frage nach der Zukunft dieser Menschen. Vor allem: was ist aus diesen Kindern geworden? Diese Frage leitet das Projekt ans licht:. Die Zukunft der damaligen Kinder ist unsere heutige Gegenwart. Über einen Aufruf im sozialen Straßenmagazin Asphalt konnte Deutschmann bereits den Kontakt zu einigen ehemaligen Bewohnern herstellen - eine Familie, die mit 15 Kindern im Lager lebte und zu denen er damals eine enge Verbindung gefunden hat. Davon zeugen zahlreiche Fotos von 1971. Nun will Deutschmann diese Menschen (und weitere ehemalige Bewohner) auch in ihrer jetzigen Lebenssituation fotografieren. So soll nach 50 Jahren eine neue Serie entstehen.

ans licht: heben

Die Kindheit im Lager hat tiefe Spuren in den Biografien der Menschen hinterlassen. Der Journalist und Autor Ulrich Matthias lässt sie in Interviews selbst erzählen von den schwierigen Anfängen, von gesellschaftlicher Stigmatisierung, aber auch von späteren Erfolgen. Ergänzend wird die Geschichte der Lager anhand von Originaldokumenten, Presseberichten und mündlichen Zeugnissen dargestellt. Matthias ist Politikwissenschaftler und als ehemaliger Redakteur des sozialen Straßenmagazins Asphalt mit Fragen sozialer Prekarität und gesellschaftlicher Stigmatisierung seit Jahren vertraut.

ans licht: bringen

An der Behandlung des „Obdachlosenproblems“ vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Ausklang der 1970er Jahre wird ersichtlich, wie eine Gesellschaft Ausgrenzung und Ausgegrenzte selbst konstruiert. Dafür schärfen die Fotoserien mit dem Abstand von 50 Jahren den Blick. Gleichzeitig öffnen sich zusätzliche Wahrnehmungsebenen durch die erzählerisch vorgetragenen Lebensgeschichten in den Interviews und die sozialwissenschaftlich aufbereiteten Hintergrundinformationen. Auf diese Weise wird auch deutlich, dass Integration – nicht nur von Obdachlosen - nur innerhalb der Gesellschaft funktionieren kann. Diese Lehre ist auch heute noch von unverminderter Aktualität, nicht zuletzt angesichts neu aufkommender Intoleranz und gesellschaftlicher Spaltungstendenzen.

ans licht: führen

Die beiden Foto-Serien werden in der 2. Jahreshälfte 2024 in der GAF Galerie für Fotografie der Öffentlichkeit präsentiert. Bis dahin wollen wir weitere ehemalige Bewohner des Lagers ausfindig gemacht haben. Zudem ist eine Print-Publikation mit den Fotoserien, den Interviews und umfassenden Informationen zur Welt der Lager geplant.

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